Mittwoch, 21. Oktober 2015

Übergriffig

Wir leben im digitalen Zeitalter.
Alles wird erfasst, fotografiert, gefilmt, geteilt, gepostet.

Manche machen sich schon Sorgen darum, dass die Kinder "von heute" schwerer selbstständig werden, als früher. Schließlich verlassen sie sich völlig auf ihr Smartphone, dass ihnen per Navi den Weg von der Wohnung zum Bäcker und zum Waschsalon weist.
Auf YouTube sehen sie sich dann an, wie die Waschmittelpackung geöffnet wird und wie man später die Waschmaschine und die Brötchentüte wieder aufbekommt.
Hat ihnen anscheinen daheim keiner beigebracht...

Ist ja irgendwie auch egal, wahrscheinlich hat Google eine Antwort auf diese Frage.

Übrigens war Victor auf Klassenfahrt.
Der erste Klassenfahrt.
Für die Kinder heißt es nun, selber das Bett zu beziehen, eine Woche mit den Kumpels im Zimmer hausen. Selber zusehen, dass man rechtzeitig am Tisch ist, genug zu essen bekommt - vielleicht auch mit Essen zurechtkommt, was ganz anders schmeckt, als das, was zuhause in der Micro warmgemacht wird.
Eigenständig daran denken, Unterwäsche zu wechseln, die Zähne zu putzen, sich eine Jacke anzuziehen und am Ende der Woche die eigenen Sachen wieder in den richtigen Koffer zu packen.

Victor kam wieder und war etwa 10cm größer als vorher.
Nicht, dass ihm einer der o.g. Punkte Probleme bereitet hätte (als Pfadfinder mit Lagererfahrung...), doch er ist selbständiger geworden, selbstbewusster, reifer.
Ihm hat die Fahrt gutgetan.

Jetzt - und wirklich erst jetzt komme ich zum Aufhänger für diesen Post Beitrag.
Am Bus fragte eine Mutti (von einem Parallelklassenkind): "Und? Habt Ihr auch so viele Bilder bekommen? Wie die Kinder angekommen sind, wie sie gewandert sind, vom Essen und von der Kinderdisco?"
Nein.
Haben wir nicht.
Halten wir auch völlig übertrieben.
Die Blagen waren fünf Tage weg. Eine Stunde Fahrt entfernt.
No news are good news.
Wenn der Bus im Graben landet, wenn unser Kind mit gebrochenem Arm im Krankenhaus liegt, wenn die ganze Klasse mit Norovirus danieder liegt, wenn das Schullandheim abgebrannt ist oder eine Bombe explodiert ist.
Denn wird man uns wohl anrufen.
Ansonsten gehen wir davon aus, dass alles in Ordnung ist.

Die erste Klassenfahrt heißt für viele Kinder nicht nur, ohne Eltern zu sein - für viele Eltern heißt es auch, zum ersten Mal keinen Zugriff auf das Kinderwohl zu haben.
Für die Kleinen heißt es "Abnabeln" für die Großen "Loslassen".
Doch das wird jetzt unterbunden indem jeder Schritt und Tritt der Kinder digitalisiert  und in Echtzeit an die Eltern geschickt wird.
Als Yolande auf ihrer ersten Fahrt war, war das noch nicht so.
Bei Victor war es zumindes in einer Parallelklasse so.
Wie wird es in einigen Jahren sein?
Erwarten die Eltern dann stündliche Updates? Wird jeder Tag in einem kurzen Video zusammengeschnitten und auf Dropbox bereitgestellt?
Werden zukünftige Eltern ihre Kinder noch ziehenlassen können? Ohne jeden Schritt zu verfolgen, ohne in jeder Situation eingreifen zu können?

Mein Großvater sagte gerne: "Was immer du tust, bedenke stets das Ende."
Bedenke ich die Konsequenz aus dem, was ich allenthalben beobachte - graust mir vor dem Ende:
Kinder, die man nicht hat selbstständig werden lassen, gebären Kinder, denen keine Selbständigkeit anerzogen wird.
Wer übernimmt das Ruder?

1 Kommentar:

  1. Sehr sympathisch, dass du nicht zu diesen schrecklichen Helikoptereltern gehörst. Wer sein Kind ständig im Auge behalten will und rundum beschützt, der riskiert, sich da einen völlig verkorksten und unselbständigen späteren Erwachsenen heranzuzüchten. Aber nichts gegen Google ... ich habe darüber auch schon einiges Wissenswertes gefunden xD

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